Geschichte der syrisch-orthodoxen Kirche
Die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien gehört zur Familie der orientalisch-orthodoxen Kirchen und ist aus dem Urchristentum entstanden. Antiochia [heute Antakya in der Türkei] war die drittgrösste Stadt im römischen Reich und Hauptstadt der Provinz Syrien. Aufgrund der Christenverfolgung in Jerusalem wurde sie sehr bald zu einem wichtigen Hauptschauplatz des Urchristentums.
Erster Bischofsstuhl in Antiochia
Bereits die Apostelgeschichte zeugt davon, dass die Anhänger Jesu dort zum ersten Mal «Christen» genannt wurden. Sie erwähnt auch, dass Paulus und Barnabas dort missioniert haben und dass auch Petrus dort war. Gemäss dem Kirchenhistoriker Eusebius war Petrus vier Jahre nach Pfingsten (etwa 34 n. Chr.) dort und hat eigenhändig grosse Teile der Altstadt Antiochia’s missioniert und den ersten Bischofsstuhl ausserhalb des heiligen Landes dort aufgerichtet.
Im Urchristentum und in den Jahrhunderten danach gab es die Einheit des Glaubens in der Gesamtkirche und alle Kirchen und Bischofssitze waren den drei (später fünf) Erzbischofssitzen angeschlossen (die später Patriarchate genannt wurden). Diese sind Antiochia, Alexandria, Rom (später auch Konstantinopel, das zunächst zu Rom gehörte und Jerusalem, das ursprünglich zu Antiochia gehörte). Die Syrische Christenheit ist aus diesem Urchristentum in Antiochia entstanden und umfasst heute sieben Kirchen unterschiedlicher Konfessionen. Die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien versteht sich als die Mutter all dieser Kirchen syrischer Tradition.
Die Liturgie geht auf urchristliche Zeiten zurück
Die Kirchen syrischer Tradition sind für die gesamte Christenheit eine Bereicherung, da sie kulturell und sprachlich dem Judentum (also den Urchristen) sehr nahe standen. Ihre Liturgie geht auf urchristliche Zeiten zurück. Ihre Liturgiesprache ist bis heute ein 2’000 Jahre alter syrisch-aramäischer Sprachzweig aus Edessa (der sich wie die galliläisch-aramäische Muttersprache Jesu aus dem wesentlich älteren Reichsaramäisch entwickelt hatte, das aus dem Altaramäisch stammt). Ihre Beiträge patristischer Theologie der ersten Jahrhunderte sind ein grosser Schatz, da sie semitisch-orientalische sowie symbolische und poetische Zugänge zur heiligen Schrift anbieten.
Mesopotamien und Syrien als ursprüngliche Siedlungsgebiete
Das ursprüngliche Siedlungsgebiet der aramäisch-sprachigen Christen liegt im alten Mesopotamien und Syrien (also in den heutigen Staaten Türkei, Syrien, Libanon und Irak). Sie standen über Jahrtausende unter Fremdherrschaft und die Annahme und Verbreitung des christlichen Glaubens war ein zentraler Grund, wieso sie immer wieder unter Repressalien, Unterdrückung, Verfolgungen, Vertreibungen und Völkermorden zu leiden hatten; sei es unter Römern, Persern, Arabern, Mongolen, Türken oder Kurden. Ihre Zahl hat sich im Nahen Osten über die Jahrhunderte stetig verkleinert.
Der Völkermord an den syrisch-orthodoxen Christen
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die syrisch-orthodoxe Kirche erneut durch die Ereignisse der Geschichte stark geprägt. Der Völkermord an den syrisch-orthodoxen Christen während des 1. Weltkrieges ist ein eher unbekannter Genozid in der modernen Geschichte, da er vom Völkermord der Armenier überschattet und von der Türkei bis heute nicht anerkannt wird. Damals sollten im osmanischen Reich aber auch die syrischen Christen von den «Jungtürken» eliminiert werden. Während dieser Zeit hat sich ihre Zahl von etwa 600’000 auf 100’000 reduziert. Über eine halbe Million syrische Christen fielen den Jungtürken während des ersten Weltkrieges zum Opfer. Die Geschichte der nach Europa geflohenen aramäisch-sprachigen Christen beginnt aber erst in jüngster Zeit. Die ersten syrisch-orthodoxen Christen kamen in den 1960er Jahre als Fremdarbeiter aus dem Tur Abdin in die europäischen Länder.
Durch anhaltende Repressalien und Verfolgungen der Christen im Nahen Osten war es ihnen oft nicht mehr möglich ihren Glauben, ihre Sprache oder ihre Kultur öffentlich zu praktizieren. Die zunehmende Radikalisierung und andauernde Islamisierung sowie die damit verbundene Unterdrückung führten dazu, dass immer mehr aramäisch-sprachige Christen im Westen Asyl suchen mussten. Seither geht die Flucht der syrischen Christen in den Westen weiter. Heute leben ungefähr 400‘000 syrisch-orthodoxen Christen in der Diaspora, unter andrem auch in der Schweiz. In der Schweiz leben heute ungefähr 10’000 Personen. Im Tur Abdin leben nur noch 1’500 Personen.
«Eine lange Geschichte von Ausrottung, Vertreibung, Zwangsislamisierung und Bedrohung von Leib und Leben bis in die Gegenwart führte dazu, dass sie ihre Heimat verlassen mussten. Die Syrisch-Orthodoxe Kirche ist zu einer Exil-Kirche geworden.»[1] Durch den Völkermord und die danach immer noch andauernden Repressalien und radikalen Verfolgungen der Christen in islamischen Ländern war es nicht einfach das kulturelle Erbe der syrisch-orthodoxen Christen aufrecht zu erhalten: Viele Klöster wurden zerstört und deren Reliquien und Kulturgegenstände geplündert oder vernichtet. Die syrisch-orthodoxen Christen haben sich aber trotz schwieriger Umstände weiterentwickelt und eine reichhaltige Theologie hervorgebracht.
Die syrisch-orthodoxe Sprache und Liturgie als wichtige Kulturgüter
Syrisch-Orthodoxe Christen haben eine sehr emotionale Beziehung zu ihrer aramäischen Sprache. Als eines der wenigen Kulturgüter, das den syrisch-orthodoxen Christen erhalten geblieben ist, wirkt die Sprache identitätsstiftend und hilft sozialen Gruppen sich zu identifizieren. Um den Verlust der Sprache zu verhindern, sind sie bemüht diese zu pflegen, indem sie zu Hause aramäisch sprechen und die Sprache in Kirchen und Klöster unterrichten.
Die syrisch-orthodoxe Kirche umfasst heute ungefähr 3 Millionen Anhänger, wovon ein Teil immer noch in ihrem ursprünglichen Stammland Südosttürkei, Syrien und Irak beheimatet ist. Die Mehrheit der Menschen sind jedoch in andere Länder ausgewandert und über die ganze Welt zerstreut. Auch leben heute etwa die Hälfte aller syrisch-orthodoxen Christen in Indien, wo das syrische Christentum eine sehr lange Tradition hat. Das jetzige, kirchliche Oberhaupt, mit Sitz in Damaskus, ist Seine Heiligkeit Mor Ignatius Aphrem II. Patriarch von Antiochien und dem ganzen Osten.
[1] Evang. Kirchengemeinde, Kath. Pfarrei und Syrisch-Orthodoxe Kirche St. Efrem: Ökumenischer Suppentag 2012. In: Tägerwiler Post, 09.03.2012, 19.
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